7 Mythen über Hunde

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    … und wie sich diese Mythen auf die Beziehung zwischen Mensch und Hund auswirken.

    In den letzten Jahrzehnten hat sich viel in der Hundeforschung getan.
    Und trotzdem halten sich veraltete Mythen.
    Sie sind nicht nur veraltet, sondern schaden auch der Beziehung zwischen Mensch und Hund.
    Die hartnäckigsten Mythen aus der Hundewelt und was sie für die Mensch-Hund-Beziehung bedeuten, sind hier zusammengefasst.

    Hundemythos Nummer 1:
    „Du musst das Alphatier sein“

    Obwohl der Forscher, der für die Verbreitung dieser These zuständig war, seine Arbeit längst korrigiert hat, hält sich dieser Mythos hartnäckig.

    Der „Alpha-Tier“-Begriff wurde 1970 populär.
    Zur Erforschung von Wolfsverhalten wurden Wölfe in Gefangenschaft beobachtet.
    Wie es aber bei allen künstlich zusammengewürfelten Gruppierungen üblich ist, kommt es irgendwann zu Konkurrenzverhalten. Vor allem wenn zu wenig Platz und nicht genügend Futter zur Verfügung stehen.
    David Mech, der 1970 in seinem Buch „Der Wolf: Ökologie und Verhalten einer bedrohten Art“ über das Alpha-Konzept bei Wölfen in Gefangenschaft schrieb, revidierte knapp 30 Jahre später seine eigene Arbeit.

    Die „Rangordnung“ ist eher eine Frage des Familienstandes.
    Männchen und Weibchen, die für Nachwuchs sorgen, führen die Familie an. Ohne aggressives Dominanzgehabe.
    Das passiert ganz automatisch, weil die Eltern eben wissen, wie gejagt wird und sich im Revier auskennen.
    Sie erziehen und beschützen ihre Jungen.
    Wenn nach einem Jahr die nächsten Welpen kommen, kann es dann zwischen den älteren und jüngeren Geschwistern zu Rangeleien kommen, bis die älteren irgendwann abwandern.
    Wenn das Rudel zu groß wird, wie zum Beispiel im Yellowstone Nationalpark, sind Auseinandersetzungen vermehrt möglich.
    Aber dem Elternpaar will niemand den „Rang“ streitig machen.
    Deshalb wird in einem ausgeglichenen Rudel auch kein Chefverhalten ausgelebt.

    Der Hund hat heutzutage noch so viel mit dem Wolf zu tun, wie der Mensch mit einem Affen.
    Die Wolfsbeobachtungen mit der Alpha-Tier- / Dominanz-Theorie haben in der Hundeerziehung einfach nichts verloren.
    Die Hundeforschung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass in der Hundeerziehung die Bindung, Kommunikation und das gegenseitige Verständnis wichtig sind.

    Wenn Menschen in ihrer Hundeerziehung auf veraltete Theorien zurückgreifen, die Methoden wie Nackenschütteln, auf den Boden drücken und anderes beinhaltet, führt das zu Missverständnissen zwischen Mensch und Hund.
    Hunde können dadurch unsicher, aggressiv oder ängstlich werden.

    Hundemythos Nummer 2:
    „Zeig ihm, wer der Chef ist“ – die Chef-zeige-Mythen

    Der Chef (fr)isst zuerst: alle Tiere, auch Jungtiere verteidigen ihr Futter.
    Das hat nichts mit einer Rangordnung oder Chef sein zu tun.

    Der Chef geht vor: Auch die Position an der Leine sagt nichts über Rang oder ähnliches aus.
    Es ist sogar so, dass Elterntiere ihre Jungtiere zum Teil vorausschicken, um das Revier im Familienverband zu erkunden.
    Wenn der Hund also vorne gehen möchte, bedeutet das nur, dass er vorne gehen will aber nicht, dass er sich als ranghöher sieht.

    Das Nackenschütteln kommt beim Jagdverhalten vor, aber nicht in der Erziehung zwischen Hunden oder Wölfen untereinander.
    Auch der sogenannte Alphawurf (die „Erklärung“ der Menschen, wenn sie ihren Hund auf den Boden drücken) existiert weder unter Hunden noch bei Wölfen.
    Beides wurde wahrscheinlich beim Beobachten von Spielverhalten oder Unterwerfungsgesten missinterpretiert.

    Was bedeutet das für unser Zusammenleben mit dem Hund?
    Wir leben mit unseren Hunden in einem artübergreifenden Familiensystem (wie es auch zwischen Hund und Katze, Hund und Pferd, Hund und anderen Tierarten möglich ist).

    Wenn wir dem Hund als „Chef“ gegenübertreten, ihn grob in seine Schranken weisen, ihn mit fragwürdigen Konzepten und nicht adäquaten Methoden erziehen, schüchtern wir den Hund ein.
    Das kann zu Verhaltensproblemen beim Hund führen.

    Um einen Hund zu erziehen, muss eine gemeinsame Sprache gefunden werden.
    Wir können ihre Körpersprache, ihre Mimik, ihren Geruchs- und Gehörsinn nicht übernehmen beziehungsweise nachahmen.
    Also können wir auch nicht die gleiche Sprache wie sie sprechen.
    Wir können nur eine gemeinsame Sprache finden.
    Indem wir dem Hund versuchen beizubringen, was wir ihm sagen wollen.
    Und lernen zu verstehen, was der Hund uns sagen möchte.
    Beidseitiges Lernen braucht Zeit und Geduld.

    Hundemythos Nummer 3:
    „Die machen sich das untereinander aus“ oder „Da muss er durch“

    Hunde sind sehr soziale Wesen.
    Viele Menschen gehen davon aus, dass sich Hunde, nur weil sie Hunde sind, untereinander verstehen.
    Genauso wie wir Menschen, haben Hunde unterschiedliche Charaktere.
    Wenn zwei Hunde aufeinandertreffen, begegnen sich zwei Fremde, die sich erstmal kennen lernen müssen.
    Indem sie sich riechen, beobachten (nicht jeder Hund hat die gleiche Körpersprache) und schauen, wo die Grenzen des anderen sind und was der andere mag.

    Natürlich gibt es auch bei Hunden Sympathie oder Antipathie „auf den ersten Blick“ – wie bei uns Menschen.
    Wobei das auch nicht so ganz stimmt, weil vor oder während dem „ersten Blick“ schon ganz viel passiert.
    Zwei Hunde aufeinanderprallen und sich alles selber ausmachen zu lassen, kann gefährlich werden.

    Wenn einer von den beiden zum Beispiel ein gemütlicher Typ ist, der eher seine Ruhe haben will und der andere ein aufgeweckter Typ ist, der spielen, rennen und Action möchte, müssen wir als Mensch hinter unseren Hunden das Aufeinandertreffen gut beobachten.

    Ist die Kommunikation untereinander ok? Oder sagt der eine Hund dem anderen, dass es gleich kracht, aber der andere Hund ignoriert die Alarmsignale?
    Dann sollte der Mensch eingreifen.

    Auch für Pausen zwischendurch sorgen ist wichtig. Damit die Stimmung nicht kippt.

    Der Mensch ist für seinen Hund verantwortlich.
    Er sollte dem Hund helfen, zur Seite stehen, ihn beschützen und eingreifen, bevor etwas passiert.

    Das gilt genauso für „da muss er durch“.
    Natürlich ist es wichtig, dass der Hund auch unangenehme Situationen kennen lernt, unterschiedlichen Reizen ausgesetzt wird und sich so entwickeln kann.
    Aber nicht, indem er überfordert wird.

    Dadurch lernt der Hund nur, dass sein Mensch ihn nicht beschützt, nicht aufpassen kann und ihn nicht kennt.
    Dann wird der Hund entweder genau diese Rollen des Beschützers und Aufpassers übernehmen oder resignieren.

    Wenn der Mensch seinen Hund richtig einschätzt, ihn lesen lernt, sich der Hund auf seinen Menschen verlassen kann, fühlt sich der Hund wohl.
    Er kann seinem Menschen vertrauen.
    Dadurch wird auch die Bindung zwischen Mensch und Hund immer stärker.

    Hundemythos Nummer 4:
    „Hunde muss man auspowern“

    Die Annahme, dass energiegeladene Hunde viel Action brauchen, ist genau das Gegenteil von dem, was sie wirklich brauchen.
    Nämlich Ruhe.

    Vielen Hunden, die sehr aktiv sind, fällt es schwer zur Ruhe zu kommen.
    Sie müssen Entspannung erst lernen.
    Wenn ein sehr aktiver Hund, der nicht oder nur schwer zur Ruhe kommt, dauernd noch mehr Aktivitäten machen muss, weil der Mensch glaubt ihn auspowern zu müssen, überdreht er irgendwann.

    Er kommt nicht dazu, seinen Stress abzubauen.
    Genauso wie wir Menschen, finden die Regenerationsprozesse auch beim Hund im Schlaf statt.
    Erwachsene Hunde brauchen mindestens 18 Stunden Schlaf pro Tag (Welpen, alte oder kranke Hunde noch mehr).

    Wenn wir Menschen zu wenig schlafen, verringert sich die Hirnleistung, körperliche und psychische Probleme sind die Auswirkungen.
    Es gibt Hunde, die reizanfälliger sind als andere.
    Das bedeutet, dass diese Hunde, bei Spaziergängen, Begegnungen, Training, Ausflügen, Besuchen, etc. mehr Stresshormone produzieren.
    Der Hormonspiegel, der bei Stress ansteigt, braucht bis zu 7 Tage, um sich wieder abzubauen.
    Zu viele Stresshormone im Körper können Krankheiten auslösen, wie Immunschwäche, Schmerzen, Allergien, Hautprobleme.

    Wenn der Hund also schon aufgedreht, demzufolge wahrscheinlich auch schon gestresst ist, und der Mensch ihm noch mehr Stress durch Auspowern zufügt, führt das zu Überforderung.

    Stattdessen ist es sinnvoll dem Hund dabei zu helfen, Ruhe zu finden.
    Mit entspannter Bewegung in vertrauter Umgebung, Schnüffelspielen oder konditionierter Entspannung zum Beispiel.

    Für uns Menschen bedeutet das in erster Linie herauszufinden, was der Hund braucht.
    Damit keine Über- oder Unterforderung beim Hund hochkommt und gesundheitliche Probleme oder Verhaltensauffälligkeiten entstehen.

    Denn wenn der Hund gestresst ist, ist auch der Mensch gestresst.
    Ein Teufelskreis, der für die Beziehung zwischen Mensch und Hund nicht gut ist.

    Hundemythos Nummer 5:
    „Das Wedeln mit dem Schwanz bedeutet Freude“

    Sabine geht mit ihrem Hund Bert spazieren.
    Auf ihrem Weg treffen sie auf eine Wander*innen-Gruppe.
    Die Gruppe kommt immer näher, Bert bleibt stehen und wedelt mit dem Schwanz (ab hier wird der korrekte Begriff „Rute“ verwendet).
    Sabine freut sich, dass sich Bert auf die Begegnung mit der Menschengruppe freut.
    Er wedelt ja mit seiner Rute.
    Sie gehen weiter.
    Je näher sie kommen, desto langsamer wird Bert.
    Er behält die Gruppe im Auge.
    Er kann die Gruppe nicht einordnen, versucht seinem Menschen zu signalisieren, dass er nicht weiß, wie er sich verhalten soll.
    Sein Mensch geht einfach weiter.
    Bert´s Körper spannt sich an, die Rute wedelt weiter.
    Die Situation überfordert ihn, er ist in Alarmbereitschaft.

    Die Gruppe will an ihnen vorbei und Bert rastet völlig aus.
    Er springt in die Leine, bellt die Gruppe an.
    Für Sabine kommt sein Verhalten total unerwartet.

    Sabine versteht nicht was los ist.
    Bert hat doch mit der Rute gewedelt und somit Freude über die Begegnung mit der Gruppe gezeigt.
    Das ist nicht nur für Sabine unangenehm und frustrierend.
    Auch Bert wird nicht verstanden.
    Ihm wird in der Situation nicht geholfen und reagiert aus Unsicherheit sehr offensiv.

    Das ist eine sehr verkürzte Beispielsituation.

    Nicht nur, wenn wir die Bedeutung der Rutensignale nicht richtig verstehen, sondern auch die anderen Signale des Hundes falsch deuten oder ignorieren, hat das unter Umständen schlimme Auswirkungen.
    Viele Unfälle mit Hunden könnten vermieden werden, wenn die Menschen die Signale des Hundes verstehen und frühzeitig eingreifen würden.

    Indem sie den Hund aus der Situation, die ihm gerade nicht passt, rausholen oder ihm durchhelfen.
    Jede*r Hundehalter*in sollte sich mit der Körpersprache des Hundes auseinandersetzen.
    Erst wenn wir verstehen, was der Hund zeigt, können wir ihn unterstützen.
    Der Hund lernt, dass er sich auf seinen Menschen verlassen kann.
    Das gegenseitige Vertrauen wird wachsen.

    Hundemythos Nummer 6:
    „Kastrieren hilft bei Verhaltensauffälligkeiten“

    Gerade bei Rüden ein Irrglaube.
    Kastration kann bei gesundheitlichen Problemen helfen.
    Beziehungsweise dann, wenn der Hund aufgrund seiner sexuellen Erregung gesundheitliche Probleme hat. 
    Mittlerweile ist kastrieren, ohne medizinischen Grund, in Deutschland sogar verboten.
    Es ist ein Eingriff in den Hormonhaushalt des Hundes.

    Wenn zu früh kastriert wird, kann sich der Hund nicht fertig entwickeln.
    Weil die Hormone dafür fehlen.
    Unter Umständen haben wir für immer ein Hunde-Kind, einen Hunde-Teenie oder einen unsicheren Hund.

    Verhaltensprobleme, die vorher die Beziehung belastet haben, können sich verschlimmern.
    An Verhaltensproblemen sollte immer zuerst mit lösungsorientiertem Training gearbeitet werden.

    Hundemythos Nummer 7:
    „Wenn ihr Probleme habt, ist eure Bindung nicht stark“ 

    Wenn wir permanent den Anspruch an uns selbst haben, dass die Beziehung zum Hund immer rosig und perfekt sein muss, setzen wir uns selbst unter Druck.
    Die Situation wird immer schlimmer, wenn wir Gefühle wie Unsicherheit, Ärger, Frust oder ein anderes Gefühl nicht zulassen.
    Unterdrückte Gefühle werden größer. Bis sie irgendwann rausplatzen.

    Eine Beziehung besteht aus Höhen und Tiefen.
    Und das ist ok.
    Es darf auch mal nicht so gut laufen und frustrierend sein – vor allem, wenn wir mit Enttäuschungen, der Hundepubertät, chronischer Krankheit oder anderen Schwierigkeiten zu tun haben.

    Wichtig ist, auch die negativen Gefühle zu erkennen und sie nicht am Hund auszulassen.
    Sie können nichts dafür.
    Wenn wir aufhören zu verdrängen, annehmen und verarbeiten, werden negative Gefühle immer kleiner.

    Wie stark die Bindung zwischen Mensch und Hund ist, hat nichts mit vorhandenen oder nicht vorhandenen Problemen zu tun.
    Fakt ist: jede Beziehung hat ihre Herausforderungen.
    Das ist in der Beziehung zwischen Mensch und Hund nicht anders.

    Es gibt noch viele weitere Mythen, die nicht nur den Hunden schaden, sondern auch negativen Einfluss auf die Beziehung zwischen Mensch und Hund haben.

    Sie halten sich hartnäckig, weil es immer noch Menschen gibt, die sich aktuellen Forschungsständen verschließen.
    Wahrscheinlich, weil es einfacher ist einen Hund zu dominieren als bei Problemen sich selbst miteinzubeziehen.

    Es kann nicht oft genug betont werden, dass Hunde Familienmitglieder sind.
    Sie sind keine Maschinen.
    Hunde müssen nicht immer funktionieren.
    Wenn etwas nicht so funktioniert wie gewünscht, sollte sich Hilfe geholt werden.

    Schwierige Phasen gibt es in jeder Beziehung. 
    Die Höhen und Tiefen in der Mensch-Hund-Beziehung geben uns die Möglichkeit zu lernen und uns weiterzuentwickeln.

     

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