Was ist Angst?
Angst ist individuell.
Während die einen Angst vor fliegenden Objekten haben, fürchten sich andere vor am Boden kriechenden Dingen.
Genauso wie jeder Mensch Trauer oder Freude unterschiedlich verspürt, ist auch das Empfinden von Angst bei jedem Menschen anders.
Angst an sich ist nichts Schlechtes.
Sie ist ein Schutzmechanismus.
Aber: Angst ist unangenehm.
Die meisten Menschen schämen sich dafür, Angst zu haben.
Angst ist ein Gefühl.
Gefühle sind die Gegenspieler zum Denken.
Gefühle entstehen durch das Zusammenspiel von körperlicher Wahrnehmung (sehen, riechen, schmecken, hören, fühlen) und dem vegetativen Nervensystem (das Herzschlag oder Atmung automatisch steuert).
So kommt es zu einfachen Gefühlen wie Hunger oder Durst, aber auch zu komplexeren Gefühlen wie Freude, Trauer, Wut oder Angst.
Wenn der Mensch also etwas sieht, hört, riecht, spürt oder denkt, das bedrohlich ist, sendet das Hirn Signale an den Körper.
Es kommt zu Angstreaktionen.
Reaktionen laufen automatisch ab, das Denken wird ausgeschalten.
Angst lässt erstarren oder wirkt aktivierend.
Schweiß, erhöhter Puls, trockener Mund, Beklemmungsgefühle, Anspannung, Zittern, Übelkeit, Schwindel oder Ohrensausen in unterschiedlicher Intensität können durch Angst ausgelöst werden.
Exkurs Trauma
Vermehrte Angstzustände können auch die Folge eines traumatischen Erlebnisses sein.
Vor allem nach einem Unfall mit dem Pferd sollte immer auch ein Trauma in Betracht gezogen werden.
Fast alle Menschen haben im Laufe ihres Lebens ein traumatisches Erlebnis.
Das Trauma-auslösende Erlebnis muss weder tabuisiert noch verharmlost werden.
Vielen Menschen gelingt es, das traumatische Erlebnis – oft sogar unbewusst – einzuordnen und zu verarbeiten.
Wenn das traumatische Erlebnis aber nicht verarbeitet werden kann, verursacht es eine posttraumatische Belastungsstörung. Diese muss psychotherapeutisch behandelt werden.
Es kann sein, dass die Angst vor dem Pferd ein Trigger, also eine Erinnerung ist, und die Angstreaktion einen ganz anderen Ursprung hat – zum Beispiel ein traumatisches Erlebnis in der Vergangenheit.
Jeder Mensch reagiert anders auf angstauslösende Situationen.
Die Einen fallen 10 Mal vom Pferd und steigen wieder auf, als wäre nie etwas passiert.
Andere fallen 1 Mal vom Pferd und haben danach Angst wieder in den Sattel zu steigen.
Warum jeder Mensch unterschiedlich auf potenziell angstauslösende Situationen reagiert, wird aktuell noch erforscht.
Es sind in jedem Fall mehrere Faktoren beteiligt.
Dazu gehören Genetik, Erziehung und das Umfeld.
Außerdem spielt der allgemeine Stresspegel eine große Rolle.
Wer dauerhaft Stress ausgesetzt ist, ist auch dauerhaft in einer körperlichen Alarmbereitschaft.
Der Körper ist empfänglicher für Außenreize und somit auch für angstauslösende Situationen.
Häufige Ursachen von Angst in der Pferdewelt
Meistens passiert ein spezielles Ereignis, das die Angst vor dem Pferd auslöst.
Das kann ein Reitunfall sein oder eine Situation, in der das Pferd beim Führen gescheut hat.
Manchmal reicht auch das reine Beobachten einer bestimmten Situation aus, damit Angst ausgelöst wird.
Häufig spielt die Erfahrung des Menschen im Umgang mit dem Pferd eine Rolle.
Aber auch erfahrende Pferdemenschen sind vor Angst nicht geschützt.
Angst und ihre Auswirkungen auf das Pferd
Pferde brauchen, um sich sicher zu fühlen, einen souveränen Partner an ihrer Seite.
Pferde sind Meister im Lesen der Körpersprache und reagieren auf die körperlichen Angstreaktionen des Menschen.
Sie nehmen den erhöhten Puls, das Schwitzen, die innere Unruhe wahr und werden selbst unsicher oder bekommen Angst.
Da der Mensch in einer Angstreaktion steckt, das logische Denken in dem Moment also nicht funktioniert, kann er auch dem Pferd nicht aus der Situation helfen.
Eine ungünstige Situation für alle Beteiligten.
In der Pferdewelt ist das Thema Angst leider immer noch tabu.
Obwohl sie viele haben, gibt es kaum jemand gerne zu.
Das hat leider nicht selten zu Folge, dass Angst überspielt wird.
Meistens mit Gewalt.
Weil sich der Mensch in seiner Situation nicht anders zu helfen weiß.
Das schadet dem Pferd, dem Menschen und ihrer Beziehung.
Oder die Angst vor dem Pferd wirkt sich als Vermeidungsverhalten aus.
Das heißt, dass gewisse Situationen mit dem Pferd (Reiten, Führen, Putzen, …) oder das Pferd selbst gemieden werden.
Das führt zu immer mehr Misstrauen und Distanz zwischen Mensch und seinem Pferd.
Was passiert, wenn die Angst ignoriert wird?
Wenn die Angstreaktion beim Menschen noch klein genug ist, wird sie oft ignoriert.
Genauso wie beim Pferd.
Leider werden subtile Signale des Pferdes (das größer werden der Augen oder Anspannungen von einzelnen Gliedmaßen) oft nicht gesehen und nur deutliche Reaktionen (misten oder tänzeln) wahrgenommen.
Es zeigt sich kurz Angst, dann ist es vorbei, alles hat sich beruhigt und fertig.
Das Problem ist, dass Angst, die ignoriert wird, immer größer wird.
Angst will gesehen werden.
Und wenn sie ignoriert wird, sucht sie sich einen Weg, um endlich in den Fokus zu kommen.
Sie wird entweder immer größer und irrationaler.
Oder sie sucht sich andere Formen, wie Schlaflosigkeit, Magenbeschwerden, Verspannungen, oder andere psychische oder physische Symptome.
Das gilt für Menschen und auch für Pferde.
Angst ist ein Schutzmechanismus und ist in jedem Fall ernst zu nehmen.
Angst ist individuell und kann jeden Menschen treffen – niemand sucht sich aus, Angst vor seinem eigenen Pferd zu haben.
Die Angst vor dem eigenen Pferd zuzugeben, kostet viel Überwindung.
Aber es ist wichtig, zu akzeptieren, dass sie da ist.
Danach kann herausgefunden werden, warum die Angst da ist und was man gegen sie tun kann.
Was kann ich gegen die Angst vor meinem Pferd tun?
Sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen kann aufwühlend und schmerzhaft sein.
Jeder Pferdemensch kann lernen, mit seinen Ängsten umzugehen und sie kleiner werden zu lassen.
Alles, was dabei hilft, das Gefühl von Sicherheit zu gewinnen, hilft gegen die Angst.
Das kann das Tragen von Helm und Sicherheitsweste sein oder kurze, gezielte Übungen für den Vertrauensgewinn.
Wichtig ist, sich Zeit zu geben und jeden kleinen Erfolg wahrzunehmen.
Verschiedene Körperübungen, wie Atemtechniken oder Entspannungsmethoden, können gegen die Angst helfen.
Das bewusste stoppen oder Umlenken der Gedanken und Visualisierungsübungen sind wirkungsvolle Methoden gegen die Angst.
Langfristig hilft es, das Nervensystem zu unterstützen.
Ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung und Bewegung sind grundsätzlich effektiv, um mit stressigen Situationen umzugehen.
Sich der Angst zu stellen, sollte immer in kleinen Schritten passieren, um sich nicht zu überfordern.
Es kann helfen sich zu fragen:
Was oder wer hilft mir?
Wie kann ich den Fokus von der Angst weglenken?
Was genau macht mir gerade Angst?
Wovor habe ich keine Angst?
Gemeinsame Routinen mit dem Pferd können auch gegen die Angst helfen.
Routinen geben Sicherheit.
Auch Pferde sind Gewohnheitstiere und mögen Routinen.
Für jeden Menschen ist etwas anderes hilfreich.
Es geht darum zu lernen, in Angstsituationen handlungsfähig zu werden und nicht ohnmächtig zu bleiben.
Um das zu können, braucht es Wissen und Übung.
Die Angst vor dem eigenen Pferd ist nicht nur unangenehm, sondern auch beschämend.
Die Beziehung zu seinem Pferd leidet.
Man zweifelt.
An sich, an seiner Kompetenz, an seinem Pferd.
Es ist kein gutes Gefühl unsicher zu sein, bei dem Tier, das einem eigentlich Halt und Freude bereiten sollte.
Mit wem kann man über seine Angst reden?
Gerade von anderen Pferdebesitzer*innen wird man bei dem Thema Angst oft schnell verurteilt.
Dann werden Geschichten über andere Reiter*innen erzählt, die viel schlimmere Unfälle mit ihren Pferden gehabt haben und gleich wieder aufgestiegen sind.
Nicht besonders hilfreich.
Von Menschen ohne Pferd wird man gefragt, ob man das Pferd nicht lieber verkaufen will.
Auch nicht besonders hilfreich.
Man wird überflutet von Unsicherheit, schlechtem Gewissen, Sorgen, Zweifel, Wut, Scham, Hilflosigkeit, Trauer und Druck.
Angst vor dem eigenen Pferd zu haben, ist belastend.
Über die Angst vor dem eigenen Pferd wird wenig gesprochen, aber sie betrifft mehr Pferdemenschen als man denkt.
Jedes Gefühl hat einen Grund.
Auch Angst und Scham haben ihre Gründe.
Angst schützt vor Gefahren, Scham sichert Grenzen.
Jedes Gefühl gibt wichtige Hinweise darauf, wie es im Innenleben aussieht, ob etwas nicht stimmt und etwas geändert werden darf.
Wenn Gefühle verdrängt werden, können sie zu psychischen und physischen Krankheiten führen.
Die Angst vor dem eigenen Pferd ist ein schwieriges Thema.
Angst verhindert eine unbeschwerte und vertrauensvolle Beziehung zwischen Mensch und Pferd.
Sie zeigt, dass etwas gesehen und verarbeitet werden will.
Und das braucht Mut und Zeit.
Mit professioneller Hilfe geht der Weg aus der Angst oft schneller.
Das Ziel ist dabei immer, dass der Mensch wieder Vertrauen in sich selbst und sein Pferd findet.
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